Technical Assistance: hoher Impact, wenig bekannt
Technical Assistance - was ist das?
Neben der Bereitstellung von Krediten spielt auch das Wissen über den Umgang damit im Mikrofinanzsektor eine entscheidende Rolle. Es ist wichtig, Menschen vor Ort aus- und weiterzubilden, damit die Projekte auch die erhoffte Wirkung erzielen. Deswegen haben viele staatliche und private Institutionen und Organisationen Programme entwickelt, in denen wichtige Kompetenzen für eine sinnvolle Verwendung finanzieller Mittel vermittelt werden. Diese Maßnahmen werden häufig unter dem Begriff Technical Assistance zusammengefasst.
Hintergründe zu Technical Assistance im Mikrofinanzsektor
Der GLS AI — Mikrofinanzfonds verfügt über ein Budget für Technical-Assistance-Programme. Damit soll eine wirksame Unterstützung geleistet werden, die einerseits die Partnerinstitute des Fonds und andererseits die (potenziellen) Endkund*innen der Institute stärkt. Neben Bildungsprogrammen können die Mittel auch in Form von Schenkgeld in Projekte vor Ort fließen, beispielsweise zur Risikosensibilisierung. Entscheidend ist, dass sich die Maßnahmen immer nach instituts-, landes- und branchenspezifischen Bedürfnissen richten. Entsprechende Vorschläge werden dem Anlagebeirat unterbreitet und in diesem Gremium beschlossen.
2021 hat die GLS Investments gemeinsam mit der FS Impact Finance bereits zum vierten Mal spezielle Förderprogramme angeboten. Insgesamt 27 Mitarbeitende der investierten Institute haben an zertifizierten Weiterbildungsprogrammen der FS Impact Finance teilgenommen und im Anschluss Berichte und Essays über ein spezifisches Mikrofinanzthema verfasst. Die Fondspartner*innen bewerten diese Berichte und Essays und vertiefen somit auch ihr Wissen zu Themen, die die Institute bewegen. Ursprünglich wurden die Verfasser*innen der besten Essays nach Deutschland eingeladen, um persönlich mit den Fondspartner*innen über relevante Mikrofinanzthemen zu diskutieren. Aufgrund der Corona-Pandemie war dies auch im vergangenen Jahr leider nicht möglich.
Die Essay-Gewinnerinnen
Die beiden Essay-Gewinnerinnen des vergangenen Geschäftsjahres waren Oratile Kgantsi vom Mikrofinanzinstitut Small Enterprise Foundation (SEF) in Südafrika und Rebeca Danielle Eyzaguirre Molina vom Crédito con Educación Rural, Institución Financiera de Desarrollo (CRECER IFD) in Bolivien. Rebeca Danielle Eyzaguirre Molina schrieb ein Essay über die Auswirkungen des Klimawandels auf die bolivianische Landwirtschaft. Oratile Kgantsi beschäftigte sich mit den Grenzen und Möglichkeiten der Digitalisierung von Finanzdienstleistungen in Südafrika. Wir konnten mit den beiden Mitarbeiterinnen etablierter Mikrofinanzinstitute sowohl zu ihren Essay- Themen als auch zu ihren persönlichen Eindrücken zum Weiterbildungsprogramm der FS Impact Finance sprechen.
Rebeca, Sie haben in Ihrem Essay die Auswirkungen des Klimawandels auf den Agrarsektor in Bolivien und die Möglichkeiten zum Aufbau einer größeren Widerstandsfähigkeit beschrieben. Was war Ihr besonderes Interesse an diesem Thema und warum?
Rebeca Danielle Eyzaguirre Molina: In den fast neun Jahren, die ich bei CRECER IFD arbeite, habe ich viele Menschen kennengelernt, die sich der Landwirtschaft in Bolivien verschrieben haben. Ich weiß sehr genau, welche Bedeutung Landwirtschaft für diese Menschen, aber auch für unsere eigene Wirtschaft hat. Gleichzeitig schreitet der Klimawandel weiter voran. Insbesondere Kleinbauern und Kleinbäuerinnen sind von den Auswirkungen betroffen. In einem Webinar habe ich dann die entwickelten Vorschläge zu Anpassungsstrategien in der Landwirtschaft der Vereinten Nationen kennengelernt. In Peru und Kolumbien wurden mit diesen konkreten Lösungsvorschlägen schon gute Ergebnisse erzielt — das wollte ich auch für Bolivien anwenden.
Was hat Sie in Ihrer Recherche besonders überrascht?
Rebeca Danielle Eyzaguirre Molina: Bei meinen Recherchen für den Artikel bin ich auf Fakten über mein eigenes Land Bolivien gestoßen, derer ich mir in diesem Ausmaß in Zahlen nicht bewusst war. Bolivien leidet unter chronischer Ernährungsunsicherheit und zählt zu den 20 Ländern mit dem höchsten Ernährungsrisiko weltweit.
Wie wirkt sich der Klimawandel konkret auf die Landwirtschaft in Bolivien aus?
Rebeca Danielle Eyzaguirre Molina:Die Folgen des Klimawandels für die Landwirte in Bolivien und weltweit sind vielfältig und reichen von der Erosion des Landes und der Ackerböden bis hin zum Tod des Viehs aufgrund von Wassermangel oder extremer Hitze. Für Landwirte bedeutet der Verlust ihres Viehs und ihrer Ernte unmittelbar einen beträchtlichen wirtschaftlichen Verlust. Die Ernährungssicherheit in Bolivien ist an zwei Fronten beeinflusst: einerseits durch den Verlust von Ernten, die für die Ernährung der Bevölkerung bestimmt sind, und andererseits durch den entstehenden individuellen Einkommensverlust, der den Zugang zu Nahrungsmitteln erschwert.
Sie konnten im vergangenen Jahr am Technical-Assistance- Programm des GLS AI — Mikrofinanzfonds teilnehmen. Das Programm besteht aus verschiedenen digitalen Modulen. Wie hat das Programm Ihre tägliche Arbeit beeinflusst?
Rebeca Danielle Eyzaguirre Molina: Nach dem Programm habe ich die konkreten Maßnahmen zur Steigerung der Anpassungsfähigkeit der bolivianischen Landwirtschaft meinem Vorgesetzen vorgestellt. Er hatte ein offenes Ohr für meine Ideen und in Zukunft wollen wir gemeinsam Programme entwickeln, die Menschen im Landwirtschaftssektor über die Auswirkungen des Klimawandels informieren, und gleichzeitig erste Maßnahmen zur Anpassung einleiten. Der Austausch mit den Mitarbeitenden anderer Mikrofinanzinstitute weltweit hat mich hierzu ermutigt.
Oratile, wie war Ihre Sicht auf das Onlineprogramm an der Frankfurt School?
Oratile Kgantsi: Durch das Programm konnte ich mein Verständnis der entscheidenden Konzepte rund um Mikrofinanzierungen erweitern. Ich habe das Gefühl, ich treffe jetzt bessere Entscheidungen: Ich beziehe zum Beispiel wichtige Aspekte wie den Schutz von Verbraucher*innen und Empowerment stärker in meine Überlegungen mit ein. In meiner Organisation konnte ich so sogar beruflich aufsteigen. Mein Risikoportfolio ist größer und ich übernehme insgesamt mehr Verantwortung. Besonders das Modul zu den Anforderungen von kleinen und mittleren Unternehmen im Mikrofinanzsektor hat mir geholfen — so konnte ich den Wechsel im Umgang von Kleinstunternehmen zu größeren Unternehmen gut bewältigen.
In Ihrem Essay haben Sie sich mit den Fragen rund um die Digitalisierung von Finanzdienstleistungen in Südafrika beschäftigt. Warum hatten Sie besonderes Interesse an diesem Thema?
Oratile Kgantsi: Small Enterprise Foundation (SEF) ist kein Einlageninstitut. Daher sind wir auf lokale Geschäftsbanken und die südafrikanische Postbank angewiesen, über die unsere Kund*innen Darlehensauszahlungen erhalten, direkte Einzahlungen vornehmen und darüber hinaus Ersparnisse auf die Gruppensparkonten einzahlen können. Kürzlich mussten immer mehr Postbankfilialen schließen und Bankgebühren wurden weiter erhöht. Ich wollte nach Möglichkeiten suchen, die sicherstellen, dass diejenigen, die finanzielle Ressourcen am meisten benötigen, in der Lage sind, diese bequem und erschwinglich zu erhalten.
Was haben Sie herausgefunden?
Oratile Kgantsi: Ich habe festgestellt, dass die derzeitigen Bedingungen in dem Land leider ungünstig sind. Die Mehrheit der Befragten gab, an noch nie etwas von Mobile Banking gehört zu haben und auch nicht daran interessiert zu sein. Diese Wahrnehmungen resultieren aus der deutlich geringen Finanzkompetenz der armen schwarzen Bevölkerung des Landes, die auf das Erbe der Apartheid zurückzuführen ist. Die mangelnde Vertrautheit mit dem formellen Finanzsystem und der Technologie führt letztlich zu mangelndem Vertrauen bei unseren Kundinnen und Kunden.
Weitere Hindernisse sind die exorbitanten Preise für mobile Datenübertragung, die als „armutsfeindlich“ bezeichnet werden, sowie die unzureichende Informations- und Kommunikationstechnik in ländlichen Gebieten, die zu einer schlechten Anbindung an das Mobilfunknetz führt.
Welche Konsequenzen ziehen Sie daraus?
Oratile Kgantsi: Der aktuelle Plan ist, unsere Kundinnen und Kunden aufzuklären, ihr Wissen zu erweitern, ihre Einstellung zu ändern und ihnen zu helfen, Vertrauen in mobile Dienste zu gewinnen. Derzeit laufen außerdem Bemühungen, die Nutzung von Geldautomaten für Einzahlungen und Abhebungen anstelle von persönlichen Bankgeschäften zu fördern. Gleichzeitig freuen wir uns über langsam sinkende Datenpreise der Mobilfunkbetreiber. Aktuell würde es nicht den Wünschen unserer Kund*innen entsprechen, mobile Bankdienstleistungen anzubieten — das kann sich aber zukünftig ändern.
Danke für das Gespräch, Rebeca und Oratile. Und viel Erfolg mit Ihren Vorhaben!
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